War das „Pruzzenland“ eine Männergesellschaft? Zumindest prägten die mittelalterlichen Deutschordensritter lange Zeit die politischen Machtverhältnisse und die historische Erinnerung. Aber auch für die späteren Epochen berichten die Geschichtsbücher vornehmlich von Ereignissen wie der Opposition der Stände oder den zahlreichen Kriegen im „Pruzzenland“, die Frauen kaum als Akteurinnen hervortreten ließen.

 

Frauen als Ausnahme?

Die polnische Historikerin und Geschichtsdidaktikerin Izabela Lewandowska hat eine zahlreiche deutsche, polnische, russische und litauische Schulbücher seit dem frühen 20. Jahrhundert ausgewertet und festgestellt, dass als prägende Gestalten des „Pruzzenlandes“ vor allem Herrscher, Ritter, Generäle, Wissenschaftler oder kirchliche Würdenträger wie die Bischöfe von Ermland genannt werden.  Nur sehr wenige Frauen schaffen dagegen den Sprung auf die Schulbuchseiten, und darunter sind mit der Königin Luise von Preußen und der polnisch-litauischen Gräfin Emilia Plater auch solche, die nur für eine kurze Zeit ihres Lebens das „Pruzzenland“ berührt haben. Als eine Gestalt der jüngeren Zeitgeschichte ist vor allem Marion Gräfin Dönhoff präsent, allerdings weniger in Schulbüchern als vor allem in ihren eigenen Erinnerungen, Artikeln und Sachbüchern, die bis heute in hoher Auflage erscheinen.

 

Neue Blicke auf die Geschichte des „Pruzzenlandes“

Es gibt also viel nachzuholen, was die Repräsentation von Frauen in der Geschichte des „Pruzzenlandes“ betrifft. So offenkundig diese Einsicht ist, so sehr führt sie aber in ein methodisches Dilemma: Der Versuch, einer männlichen Erzählung von Geschichte einfach eine weibliche Alternativerzählung hinzuzufügen, ist von der historischen Forschung mittlerweile als analytisch wenig weiterführend erkannt worden. Die Entwicklung ging daher im letzten Jahrzehnt von einer feministisch-emanzipativen „Frauengeschichte“ zu einer „Geschlechtergeschichte“, die die soziale und kulturelle Konstruktion von „Geschlechtern“ und deren wechselseitigen Beziehungen in den Blick nimmt. Einige Überlegungen aus der aktuellen Forschungslandschaft sollen helfen, die im Thema „Männer und Frauen“ vorgestellten Quellen besser verstehen und einordnen zu können.

Hinterfragt werden ganz grundsätzlich Zuschreibungen, was eigentlich männlich oder weiblich ist. Solche Zuschreibungen sind demnach nicht biologisch gegeben, sondern diskursiv, d. h. im vielfachen Sprechen über „Geschlechter“ und „Geschlechterunterschiede“, entstanden. Sie betreffen nicht nur die gesellschaftliche oder kulturelle Rolle, die ein Mann oder eine Frau ausfüllen soll, sondern auch Fragen der Körperlichkeit und Sexualität. Die historische Perspektive ist interessant, weil sie zeigt, wie sich solche Zuschreibungen immer wieder wandeln. So steht der fromme, ehelose Deutschordensritter, der der Heiligen Jungfrau Maria huldigt, sicherlich für ein anderes Bild von Männlichkeit, als wir es heute gewohnt sind. Ein fundamental entgegengesetztes Beispiel ist die Frau im Sozialismus, die idealerweise als sportliche, körperbewusste, leistungsfähige Frau definiert wurde, die sich auch in technischen Berufen bewährte. Dass dieses Ideal im Alltag nicht immer funktionierte, ist wahrscheinlich kaum überraschend.

Die Kluft zwischen Ideal und Alltag ist in der Geschlechtergeschichte immer auch Anlass, um Machtkonstellationen zwischen den Geschlechtern und in einer Gesellschaft zu untersuchen. Häufig wird dabei gefragt, ob Öffentlichkeit und Privatheit, Politik und Haushalt bzw. Familie getrennte Welten markierten und was dies für Männer und Frauen jeweils bedeutete. Vor dem Hintergrund des multiethnischen Settings im östlichen Mitteleuropa ist darüber hinaus die Frage wichtig, wie es mit der Zuschreibung von „Geschlecht“ und der Zugehörigkeit  zu einer Nation, Klasse oder Konfession aussah. War beispielsweise für deutsche, masurische und litauische Bäuerinnen in erster Linie die alltägliche Lebens- und Arbeitserfahrung prägend und entwickelte sich daraus ein ähnliches gesellschaftliches Bewusstsein oder aber verliefen nachhaltigere Trennlinien entlang nationaler Zugehörigkeiten?

Das sind nur einige aktuelle methodische Anfragen an eine leider noch dünne und oft auch noch unerschlossene historische Materialbasis. Die hier präsentierten Quellen bieten einen ersten Einblick in ein Thema, das hoffentlich zukünftige Forscherinnen und Forscher stärker bearbeiten werden.

 

Heitere Nachkriegsjahre

Die meisten bekannten Erzählungen über die Jahre nach 1945 im „Pruzzenland“ zeichnen ein düsteres Bild von Not und Bedrängnis. Eine überraschende Abwechslung ist es, wenn auch einmal Jugendliche und ihr Spaß am Leben im Blickpunkt stehen. Quelle öffnen

Reeperbahn an der Memel

In den Dimensionen nicht ganz so groß wie Hamburg, die Schwester an der Elbe, so bietet Memel doch das Ambiente einer typischen Hafenstadt: mit einer Amüsiermeile für die Seeleute, Verdienstmöglichkeiten für die Bauerntöchter aus dem Hinterland und Polizisten, die immer wieder einmal durchzugreifen versuchen… Quelle öffnen

Maria und der Ritter

Seltsam ist diese Geschichte, mögen diejenigen denken, die die Verehrung der heiligen Jungfrau Maria zwar mit Polen und Litauen verbinden, aber ganz sicher nicht mit dem Deutschen Orden, der lange Zeit als politischer Erzfeind der beiden Länder galt. Ebenso ungewohnt ist heute wohl auch das in dieser Geschichte zum Ausdruck kommende Ideal von Männlichkeit und Glauben. Quelle öffnen

Zweierlei Medizin

Helfende Hand des Arztes sein oder selbst eine Praxis leiten? In einem Erinnerungsband, den ost- und westpreußische Ärztevertreter 1970 in der Bundesrepublik Deutschland herausgebracht haben, werden – wohl unbeabsichtigt – zwei höchst unterschiedliche Rollenbilder von Frauen erkennbar. Waren es gute alte Zeiten? Tatsächlich machte der gesellschaftlich-kulturelle Umbruch vor dem Gesundheitsweisen nicht halt. Quelle öffnen