Helfende Hand des Arztes sein oder selbst eine Praxis leiten? In einem Erinnerungsband, den ost- und westpreußische Ärztevertreter 1970 in der Bundesrepublik Deutschland herausgebracht haben, werden – wohl unbeabsichtigt – zwei höchst unterschiedliche Rollenbilder von Frauen erkennbar. Waren es gute alte Zeiten? Tatsächlich machte der gesellschaftlich-kulturelle Umbruch vor dem Gesundheitsweisen nicht halt.

Vom guten Geist des Landarztes

Es ist schon oft von Ärzten und denen, die sich in ihrem Milieu auskennen, ein Hohelied auf die Arztfrau gesungen worden, die ein nahezu unerläßlicher Teilhaber in einer Allgemeinpraxis ist. Das gilt ganz besonders für die Landarztehefrau. Es ist daher selbstverständliche Pflicht, auch ihrer in diesem Rahmen zu gedenken. Die Landarztfrau ist nie auf Rosen gebettet gewesen, denn sie nimmt nicht nur an allen Sorgen und Nöten ihres Mannes teil, sondern fühlt sich auch verpflichtet, alles zu tun, was unnötige Belastung von ihm fernhält. […]

Ihr Tun erfordert ebenso viel Sachkenntnis wie Selbstbeherrschung wie diplomatische Kniffe. Auch das muß gelernt sein. Schlimmer aber noch als auf dem Arzt selbst lastet die Notwendigkeit des ständigen In-Bereitschaft-Lebens auf seiner Frau. Es ist ein Dasein, das ständig Opfer verlangt und nur einer starken und mit Liebe an ihrer Aufgabe hängenden Persönlichkeit zuzumuten ist. In dem weit ausgedehnten Ostpreußen galt das, was von jeder Landarztfrau verlangt wird, in besonders hohem Grade. Die oft nicht nur besonders beschwerlichen, sondern auch mit größeren Gefahren verbundenen Fahrten durch die weite Landschaft erforderten ganz besondere Wachsamkeit seitens der zu Hause gebliebenen Gefährtin, wollte sie sich nicht an unnötigen Strapazen oder gar Unfällen des Gatten mitschuldig machen. Fast jeder Bericht der alten Landärzte gipfelt daher in Lob und Dank auf die Arztfrau oder auf diejenige, die ihre Stelle einnahm. Eindrucksvoll berichtet die jetzt bei Flensburg lebende Tochter von Sanitätsrat Haagen, Gerdauen:

„Das Telefon wurde viel von Mutter bedient. Sie wußte so gut mit den Ortschaften Bescheid, daß sie vieles selbst ordnen konnte. Wenn in der Nacht das Telefon oder die Hausglocke ging, war sie sofort aus dem Bett. Vater hatte einen sehr festen Schlaf. Ich höre noch Mutters Stimme, wenn sie immer wieder sagte: ,Alterchen. Ich kann Dir nicht helfen, Du mußt jetzt heraus!‘ Dann aber ging es mit Schwung.“

So hat beispielsweise auch Frau Luise Skierlo in Pillau, Mutter von zehn Kindern und durch diese bis zum Äußersten ausgelastet, fürsorglich für ihren Gatten, den „ollen Geheimrat“, gesorgt, um ihm alles zu ersparen, was seine ungewöhnliche Widerstandskraft hätte zerstören können. […]

Abschließend sei an dieser Stelle der Landarztfrau Emma Krueger aus Lübeck gedacht, die im Herbst 1965 in seltener Frische ihren 90. Geburtstag feierte und sich überzeugend rühmen konnte, drei Generationen von ostpreußischen Landärzten als guter Hausgeist gedient zu haben, dem Gatten, dem Schwiegersohn und dem Enkel. „Bratklopse dürfen in einem guten Arzthaushalt nie ausgehen“, war der fröhliche Niederschlag ihrer Fürsorglichkeit und ihres selbstlosen Lebens.

Ärztin auf dem Lande

Der Vollständigkeit halber soll es nicht unterlassen werden, in diesem Abschnitt auch der Ärztinnen zu gedenken, denen ein idealistisch konzipiertes Berufsbild den Anlaß dazu gab, auf das Land zu gehen und dort in freier Praxis ihren „Mann“ zu stehen. Zwar war die Zahl der Landärztinnen nur gering, was angesichts der großen körperlichen Anforderungen des Berufs nicht verwunderlich war. Frau Dr. Gerda Moschall in Kreuzburg, Frau Dr. Pulver in Mallwischken (Mallwen) und die unverwüstliche Frau Dr. Theodora Krause in Laukischken, zeigten ihrerseits, daß vereinzelt auch Frauen es wagten, auf dem platten Lande durch Einsatz ihres ganzen Könnens etwas von jener ärztlichen Souveränität zu erlangen versuchen, von der schon die Rede war. Aber die Notwendigkeit, während des Krieges auch notdienstverpflichtete Ärztinnen in durch Einberufung verwaiste Landarztsitze zu schicken, hat ganz zweifellos bewiesen, daß Frauen selbst unter den erschwerendsten Umständen eine Landarztpraxis zu führen verstehen und dabei weitgehend berufliche Befriedigung empfanden. Einmal mehr zeigte sich dabei, daß Land und Leute des abgelegenen Ostpreußen auch für Nichtostpreußen eine große Anziehungskraft besaßen; ein besonders überzeugendes Beispiel war die aus Schwaben stammende und jetzt in Villingen praktizierende Assistentin der Medizinischen Universitätsklinik in Königsberg, Dr. Irmgard Beyerle, die während des letzten Krieges in dem abgelegenen Landarztsitz Lasdehnen nahe der russischen Grenze ihr Herz für „Preußisch Litauen“ entdeckte und in einem großen Kutscherpelz gehüllt, begleitet von ihrem „treuen Hund Perkuhne“ („Fräulein, haben Sie den Hund selbst gehäkelt?“, wurde sie einst von einem Landser unterwegs gefragt!), auf ihren Besuchsfahrten durch Eis und Schnee Strapazen frohgemut überstand, die dem „alten Kittel“ Ehre gemacht hätten. Es wurde ihr von der Bevölkerung durch aufrichtige Liebe gedankt.

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Quelle: Harry Scholz und Paul Schröder (Hrsg.): Ärzte in Ost- und Westpreußen. Leben und Leistung seit dem 18. Jahrhundert [Ostdeutsche Beiträge aus dem Göttinger Arbeitskreis, Bd. 48], Würzburg 1970, S. 191 – 194.