Im Jahre 1410 fand eine im spätmittelalterlichen Europa viel beachtete Schlacht zwischen dem Deutschen Orden sowie dem polnischen und litauischen Heer mit ihren jeweiligen europäischen Verbündeten statt. Die Erinnerungen an dieses Ereignis könnten nicht unterschiedlicher sein.

 

Drei Namen

Bereits die Namen für die Schlacht sind unterschiedlich: Wählten deutsche Geschichtsschreiber den Ort Tannenberg auf der einen Seite des Schlachtfeldes aus, so stand in der polnischen Tradition der Ort Grünfelde/Grunvelt auf der anderen Seite des Schlachtfeldes Pate. Bei der im Polnischen später so geläufigen Version Grunwald handelt es sich im Grunde genommen aber um einen schlichten Schreibfehler. Der Schriftführer der Kanzlei des polnischen Königs Władysław Jagiełło wählte im Dezember des Jahres 1410 statt Grünfelde/Grunvelt die Bezeichnung in campo dicto Grunwalt und machte damit aus einem e ein a. Litauische Geschichtsschreiber konnten sich lange Zeit nicht recht entscheiden. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts hieß die Schlacht „bei Tannenberg“. Dann kam mit der Übersetzung einer auf Russisch verfassten Geschichte der Schlacht ins Litauische 1861 die Annäherung an den Ort Grünfelde/Grunvelt und der Name Žalkrūmis auf, bis dann mit einer Übersetzung vom Polnischen ins Litauische 1887 der Name Žaliagiris gewählt wurde, später leicht korrigiert in die noch heute gebräuchliche Form Žalgiris.

Und noch mehr Erinnerungen

In Polen war und ist die Erinnerung an die Schlacht besonders ausgeprägt, im 20. Jahrhundert sogar noch weitaus stärker als in den früheren, zeitlich näher am Ereignis liegenden Jahrhunderten. Der Schlüssel hierzu war sicherlich das Jahr 1910 mit dem 500. Jubiläum der Schlacht, als es gelang, die Erinnerung an die Schlacht zu einem Volksereignis zu machen und einen Grunwald-Mythos zu etablieren, der sich dauerhaft im polnischen kollektiven Gedächtnis niederschlug. Geprägt von den Erfahrungen der Teilungszeit seit 1795, als ein eigenständiger Staat nicht existierte und Polen stattdessen zwangsweise in Preußen, Österreich und Russland aufgegangen war, galt die Schlacht von Grunwald als ein Glanzpunkt einstiger polnischer Größe, als ein triumphaler Sieg über die „bösen Deutschen“. Nach dem Zweiten Weltkrieg gewann diese Vorstellung in Polen erneute Popularität und wurde offiziell gefördert, so etwa mit dem Film „Die Kreuzritter“ (Krzyżacy) von Aleksander Ford, dessen damalige Einschaltquoten bis heute von keinem polnischen Film mehr erreicht wurden.

In Litauen begann die große Aufmerksamkeit für Žalgiris um das Jahr 1930, im Zuge der Gedenkwelle  zum 500. Todestag des Großfürsten Vytautas (Witold), der 1410 die litauischen Truppen angeführt hatte. Auch in Litauen hatte die politische Situation des 20. Jahrhunderts Einfluss auf die Deutung. Nachdem in der Folge des Ersten Weltkriegs 1918 seit langer Zeit die staatliche Unabhängigkeit wieder erreicht war, faszinierte die Erinnerung an litauische Heldentaten früherer Zeiten.

Es ist daher auch gar nicht erstaunlich, dass es bald zu einem Deutungsstreit kam: Zwar hatten die polnischen und litauischen Heere gemeinsam gegen den Deutschen Orden gekämpft, doch bewegte nun die Frage, wer genau welchen Anteil am Sieg besaß, die Gemüter. Litauische Historiker stellten die These auf, dass der zeitweilige Rückzug der Litauer vom Schlachtfeld 1410 ein geplantes taktisches Manöver gewesen sei, ja mehr noch, dass gerade diese Taktik der litauischen Verbände zum Sieg geführt habe, während die Rolle der polnischen Verbände in der Schlacht von untergeordneter Bedeutung gewesen sei. Dies sahen polnische Historiker genau anders – in einem langjährigen Standardwerk zu 1410 wurde die militärische Rolle des litauischen Großfürsten Witold und seiner Verbände eher gering veranschlagt.

Gemeinsamkeiten mit der polnischen und litauischen Sichtweise wies die historische Erinnerung in Russland insofern auf, als dass die mittelalterlichen Ordensritter als aggressive Nachbarn erschienen, die im 13. Jahrhundert wie aus dem Nichts an der Ostseeküste auftauchten und mit ihren Eroberungszügen Furcht und Schrecken verbreiteten. Umso mehr wurden Akte der Selbstbehauptung gegen die Ordensritter hervorgehoben. Dazu gehörte in russischer Sicht aber vor allem der mythenumwobene Sieg Aleksandr Nevskijs gegen den Schwertbrüderorden auf dem Eis des winterlichen Peipussees im Jahre 1242 und nicht so sehr die Schlacht von 1410. Hier wurde allenfalls darauf geachtet, den Anteil russischer Truppen am polnischen und litauischen Heer zu würdigen.

Die widersprüchlichste Erinnerung an 1410 findet sich in Deutschland. Für den Deutschen Orden, der seit einem berühmten Essay des Historikers Heinrich von Treitschke im 19. Jahrhundert als unmittelbarer Vorgänger preußisch-deutscher Herrschaft im „Pruzzenland“ galt, war die Schlacht bei Tannenberg eine empfindliche Niederlage. In einer deutsch-nationalen Sichtweise war damit die deutsche Besiedlung und Beherrschung des europäischen Nordostens in Gefahr geraten. Mit Genugtuung wurde daher der Aufstieg Preußens zur Großmacht seit dem 18. Jahrhundert verfolgt und vor allem wurde der Sieg deutscher Truppen unter Führung Paul von Hindenburgs über die russische Armee, der während des Ersten Weltkriegs in geographischer Nähe zum spätmittelalterlichen Schlachtfeld bei Tannenberg stattfand, als gelungene Revanche gefeiert. Unverkennbar unter dem Eindruck sowjetischen Geschichtsdenkens stand dagegen die Sichtweise in der DDR, wonach die Schlacht von 1410 mit einer verdienten Niederlage für die expansionsversessenen deutschen Feudalherren endete. Seit Hindenburg nicht mehr als Vorbild gilt und es die DDR nicht mehr gibt, gerät in der deutschen Erinnerung die Schlacht von Tannenberg zunehmend in Vergessenheit oder wird als ein Ereignis allein der Geschichte Polens betrachtet.

Was ist heute an 1410 interessant?

Die Schlacht von Grunwald/Tannenberg/Žalgiris im Jahre 1410 lässt sich in unterschiedlichen Erzählweisen vermitteln. Zum ersten gibt es eine nationalgeschichtliche Version, als Ringen zwischen dem Deutschen Orden einerseits und Polen, Litauen und Russland andererseits. Diese Version ist in den vergangenen zwei Jahrhunderten zur Genüge ausgereizt worden.

Neuere Erzählweisen widmen sich, zweitens, in universeller Weise der Schlacht von 1410 als Folge der christlichen Kreuzzugsbewegung und, drittens einem prominenten und spektakulären Fallbeispiel für Techniken mittelalterlicher Kriegsführung. Damit einher geht ein verstärktes Interesse für mittelalterliche Lebenshaltungen und Lebensweisen, denen nicht zuletzt die europaweit wachsende Reenactment-Bewegung nachspürt.

 

 

 

Rebound

Was hat Basketball mit einer mittelalterlichen Schlacht zu tun? Dies mochten sich wohl die Anhänger des deutschen Vereins Brose Baskets Bamberg denken. Für die Anhänger des litauischen Vereins Žalgiris Kaunas war die Sache jedoch denkbar klar. Die jüngsten Zusammentreffen der beiden Vereine in der Euroleague-Saison 2013/14 gingen übrigens 91:81 und 84:80 für Kaunas aus. Quelle öffnen

Das geschah ihnen recht

Eine solche Sichtweise war für deutsche Schülerinnen und Schüler völlig neu. Was ihnen das DDR-Schulbuch aus den frühen 1950er Jahren über die Niederlage des Deutschen Ordens 1410 vortrug, hatte sein unmittelbares Vorbild in sowjetischen Schulbüchern, die im geteilten Europa nach 1945 zumindest eine Zeitlang zum unhinterfragten Modell in den Ländern des Ostblocks wurden. Polnische und litauische Kinder lernten eine ganz ähnliche Sichtweise kennen. Quelle öffnen

Und teuer war es auch noch

Die Niederlage des Deutschen Ordens gegen Polen-Litauen 1410 war nicht nur bitter, sondern auch teuer. Der Deutsche Orden hatte Söldner aus ganz Europa angeworben, die er anschließend bezahlen musste. Erhalten geblieben ist auf Pergament eine ganze Reihe von Schuldbriefen des Hochmeisters Heinrich von Plauen, geschrieben in mittelhochdeutscher Sprache. Quelle öffnen

Die Rettung Europas – 1410

Eigentlich war es ja Aleksandr Nevskij, der in der russischen historischen Erinnerung den Vormarsch der Kreuzritterorden im Baltikum aufhielt – 1242 in einer spektakulären Schlacht auf dem zugefrorenen Peipussee. Nach Meinung russischer Schulbuchautoren haben russische Kämpfer aber auch ihren Anteil am Sieg über den Deutschen Orden 1410 gehabt. Quelle öffnen

Die Rettung Europas – 1914

Anders als 1410 war die Schlacht bei Tannenberg im Jahre 1914 eine verheerende Niederlage für die russische Armee. Russische Schulbuchautoren zeigen allerdings, dass auch darin ein höherer Sinn lag. Quelle öffnen