Freiheit ist ein schillernder Begriff. Nicht zuletzt deswegen wird er in unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet und es gibt wohl kaum ein Land, eine Nation oder auch eine Region, in der man der Versuchung widerstanden hätte, sich eine eigene Traditionslinie „freier“ Bauern und Städte oder „liberaler“ Bewegungen zu schmieden. Hier macht das „Pruzzenland“ keine Ausnahme. Was ist dann aber tatsächlich Freiheit und was nicht?

Kollektive Freiheiten

Im sogenannten Alteuropa, im Zeitraum vom Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert war Freiheit vor allem im Plural präsent: als rechtliche Privilegien („Freiheiten“) einzelner Gruppen und Stände.

Mit der mittelalterlichen Siedlungsbewegung im „Pruzzenland“ zur Zeit des Deutschen Ordens tauchte erstmals die Unterscheidung zwischen freien und unfreien Bauern auf. Persönlich frei waren diejenigen Bauern, die sich nach dem neuen Ansiedlungsrecht niederließen, denn sie mussten keine Dienstleistungen erbringen. Unfrei waren dagegen in der Regel die alteingesessenen Bauern, die Pruzzen.

Ob die Pruzzen zuvor einen eigenen Freiheitsbegriff besaßen, konnte von der historischen Forschung noch nicht festgestellt werden. Dies hat aber spätere Generation, gerade auch von Schulbuchautoren, nicht daran gehindert, Vorstellungen von „Freiheit“ auf die Pruzzen zu projizieren – in aller Regel mit der erzählerischen Zielsetzung, einen Kontrast zu einer kritisch gesehenen Missions- und Machtpolitik des Deutschen Ordens aufzubauen.

Ab dem 15. Jahrhundert rücken dann die Stände in den Blickpunkt einer Geschichte kollektiver Freiheiten. Dabei handelte es sich um einen Prozess, der zu dieser Zeit in vielen Ländern und Regionen Mittel- und Osteuropas einsetzte. Es ging darum, den Landesherren und Königen mehr Selbstbestimmung und politischen Einfluss abzuringen.

Für das „Pruzzenland“ verlief dieser Prozess besonders dramatisch: Nach der Niederlage gegen Polen und Litauen 1410 geriet der Deutsche Orden in finanzielle Bedrängnis und versuchte seine Untertanen an den Kosten für die Kriegsführung verstärkt zu beteiligen. 1440 gründeten Vertreter des Landadels und der Städte den „Preußischen Bund“ und erreichten den Status eines handlungsfähigen politischen Subjekts, was sich nicht zuletzt in der Herausbildung einer eigenen Außenpolitik während des Dreizehnjährigen Krieges (1454 – 1466) manifestierte, als die enge Anbindung an das Königreich Polen gesucht wurde. Auch für die ideelle Verfestigung der Vorstellung von Ständefreiheit im „Pruzzenland“ war der Blick nach Polen hilfreich, denn der polnische Adel genoss seit der 1505 erlassenen Konstitution Nihil novi so umfangreiche Privilegien, dass sich rasch das Schlagwort von der „goldenen polnischen Freiheit“ (złota polska wolność) verbreitete.

Für die folgenden drei Jahrhunderte gelang es den Ständen im westlichen „Pruzzenland“, das seit 1466 zu Polen gehörte, ihre Eigenständigkeit und damit auch die Eigenständigkeit ihres Landes im Königreich Polen trotz manch späterer Einschränkungen zu wahren; für die Stände im östlichen „Pruzzenland“, im verbliebenen Deutschordensstaat (seit 1525 Herzogtum Preußen), gelang dies aber nur für zwei Jahrhunderte, denn der brandenburgisch-preußische Kurfürst Friedrich Wilhelm sah nach dem Nordischen Krieg (1654 – 1660), der mit einer Stärkung seiner fürstlichen Macht einherging, die Chance gekommen, den  Widerstand der Stände unter Anführung von Christian von Kalckstein und Hieronymus Roth zu unterdrücken und damit die Ständefreiheit im „Pruzzenland“ entscheidend zu beschneiden.

Individuelle Freiheit

Im 18. Jahrhundert, in der Zeit der Aufklärung, schlug die Stunde eines neuen Freiheitsbegriffs, der universal und zugleich individuell für alle Menschen gelten und nicht länger ständisch fragmentiert sein sollte. Ein wichtiger Schrittmacher dieser neuen Auffassung von Freiheit war der Königsberger Philosoph Immanuel Kant, dessen kategorischer Imperativ häufig auf die eingängige Formel gebracht wird: „Die Freiheit des Einen hört da auf, wo die Freiheit des Anderen beginnt“. Neben Kants Lehrstuhl an der Universität bildete sich in Königsberg zu dieser Zeit auch ein bedeutendes Zentrum der  Haskalah, der jüdischen Aufklärung, heraus.

Folgte daraus nun, dass es für die weitere historische Entwicklung im „Pruzzenland“ ein besonderes Potenzial für die individuelle, politische und kulturelle Freiheit gab? Zumindest konnten sich Anhänger freiheitlicher Überzeugungen immer wieder auf die Königsberger geistige Atmosphäre im späten 18. Jahrhundert berufen, so etwa die ostpreußischen Liberalen, Johann Gottfried Herder, Ferdinand Gregorovius, Johann Jacoby und weit später noch Hannah Arendt, die offen ihre Bewunderung für Immanuel Kant kundtat.

Nach 1945 lebten solche Traditionslinien nicht mehr im „Pruzzenland“ selbst, sondern vor allem in den USA weiter, wohin überlebende Mitglieder der Königsberger jüdischen Gemeinde und Hannah Arendt selbst Zuflucht gefunden hatten. Die polnischen oder sowjetischen Neusiedler im „Pruzzenland“ versuchten vorsichtig, an einige dieser Traditionslinien anzuknüpfen, etwa wenn im Gebiet Kaliningrad Kant zum Namenspatron von Universität und Schulen auserkoren wurde oder Herder in den 1970er Jahren ein Museum in seinem Geburtsort Mohrungen/Morąg gewidmet wurde. Noch bedeutender aber war, dass es den neuen Bewohnern des „Pruzzenlandes“ gelang, eigene Vorstellungen von Freiheit zu entwickeln, die insbesondere in der Zeit kommunistischer Herrschaft bis 1989/91 im Widerstand gegen die Diktatur und im Eigensinn gegenüber einem von oben reglementierten Alltag zum Ausdruck kam. 

Von der Roten Armee befreit?

Die polnische Jüdin Maria Blitz, als Zwangsarbeiterin gerade einem Todesmarsch entronnen, erlebte den Einzug der sowjetischen Roten Armee im „Pruzzenland“ 1945 anders als viele Deutsche. Quelle öffnen

Die Freiheit der Anderen

Als im November 1830 Warschauer Bürger gegen die autokratische russische Zarenmacht aufbegehrten und neue Freiheiten für das seit 1795 von der politischen Landkarte Europas verschwundene Polen forderten, waren nicht nur die polnischen Landsleute wie elektrisiert, sondern auch deren Nachbarn. Die Einwohner des nur wenige Dutzend Kilometer nördlich von Warschau gelegenen „Pruzzenlandes“ verfolgten die Ereignisse aber mit sehr gemischten Gefühlen. Quelle öffnen

Freiheit oder starker Staat?

Am Idealbild der erfolgreichen und mächtigen Herrscher Preußens ließ sich in deutschen Schulbuchdarstellungen lange Zeit nicht rütteln. Oder doch? In den Anfangsjahren der Weimarer Republik öffnete sich zumindest für einen Autor ein Zwiespalt: So galt der absolutistische Staat zwar als eine historische Notwendigkeit, doch der Widerstand der preußischen Stände im Kampf für alte Rechte und Freiheit weckte auch Sympathie. Quelle öffnen

Flucht über die Ostsee

Aus dem sowjetischen Litauen herauszukommen und in den Westen zu gelangen, war alles andere als leicht. Am ehesten Erfolg versprach der Weg über das nördliche „Pruzzenland“, das Gebiet Klaipėda, mit seinem großen Hafen, der Fischereiwirtschaft und Handelsmarine. Wie die folgenden Beispiele zeigen, handelte es sich allerdings immer noch um einen sehr gefahrvollen Weg. Quelle öffnen

Vom Ende des ostpreußischen Liberalismus

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war häufiger vom ostpreußischen Liberalismus die Rede. Damit umfasst waren die Ideen der Aufklärung, ein ständisch geprägtes regionales Eigenbewusstsein und gesellschaftliche Reformen, die sich gegen die Verabsolutierung von Staat und Monarchie richteten. Auf den Höhepunkt, die Revolution von 1848, folgte Ernüchterung. Der liberale Historiker und Italienreisende Ferdinand Gregorovius richtete seine Hoffnungen nun auf einen anderen, etwas überraschenden Schauplatz. Quelle öffnen