Aus dem sowjetischen Litauen herauszukommen und in den Westen zu gelangen, war alles andere als leicht. Am ehesten Erfolg versprach der Weg über das nördliche „Pruzzenland“, das Gebiet Klaipėda, mit seinem großen Hafen, der Fischereiwirtschaft und Handelsmarine. Wie die folgenden Beispiele zeigen, handelte es sich allerdings immer noch um einen sehr gefahrvollen Weg.

Sprung über den „Eisernen Vorhang“

Zu Zeiten von Brežnev [dem ehemaligen Parteichef der Sowjetunion] gab es die Scherzfrage: „Was passiert, wenn plötzlich die Grenzen geöffnet werden? – Du musst zur Seite treten, um nicht niedergetrampelt zu werden“.

Seeleute hatten die besten Gelegenheiten, den Eisernen Vorhang zu überwinden, obwohl sie erst nach einer eingehenden Prüfung auf die Reise gehen konnten. Häfen waren immer etwas offener für ausländische Einflüsse, daher war die sowjetische Geheimpolizei in Klaipėda stets besonders wachsam. Litauern wurde generell nicht getraut. Dokumente zeigen, dass dies nicht ganz ohne Grund war. Peinlich und anstregend war die Aufgabe für die Sicherheitsoffiziere und Bootsmänner auf den Schiffen: genauestens die politische Stimmung in der Mannschaft zu überwachen. Bei Landgängen waren die Matrosen immer zu dritt, damit sie gegenseitig aufeinander achteten. Die ersten Seeleute, die „Stalins Sonne“ gegen den „morschen Kapitalismus“ tauschten, waren der Kapitän des kleinen Fischer-Trawlers MPT-85 Samum, L. Kublickas, der Bootsmann J. Grišmanauskas und der Matrose E. Paulauskas, die 1951 drei andere Mannschaftsmitglieder in einer Kabine einschlossen und in schwedischem Territorialgewässer mit einem Beiboot zur Insel Öland entkamen. Alle drei wurden in Abwesenheit zum Tode verurteilt. 1955 blieb ein Matrose eines anderen Fischer-Trawlers, P. Adomavičius, in einem dänischen Hafen zurück. Am 18. Juli 1963 meldeten sich die Seeleute J. Vaitkevičius und A. Bibrys bei den kanadischen Behörden im Hafen von Halifax, um politisches Asyl zu erbitten. In den Jahren nach dem „Tauwetter“ [in den späten 1950er Jahren] wurden die Urteile sowjetischer Gerichte milder. Am 11. Oktober 1968, als die MS Igarkalis im Hafen von Brüssel ankerte, kam der Matrose J. Gurskas von einem Ausflug in die Stadt nicht mehr zurück zum Schiff. Im August 1972 bat der Funker des Fischkutters Visera, Vytautas Gadliauskas, in einem griechischen Hafen um politisches Asyl. Im Februar 1973, als der Tanker Žalgiris im Hafen von Kiel lag, kam ein Mitarbeiter der Tiefkühlabteilung des Hafens von Klaipėda, E. Mežlaiškis, nicht zum Schiff zurück. Und als das Schiff K. Preikšas im französischen Hafen Boulogne-sur-Mer festmachte, entkam der Funker J. Stankevičius vom Schiff, meldete sich bei den örtlichen Behörden und fragte nach politischem Asyl. Gemessen daran, wie streng Seeleute in der Sowjetunion überwacht wurden, ist die Liste der Flüchtigen recht lang.

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Quelle: Vigantas Vareikis: 99 Stories about Klaipėda, Klaipėda 2009.