Viele Erzählungen zur Flucht und Vertreibung der deutschen Bevölkerung handeln vom plötzlichen und gewaltsamen Verlust der Heimat am Ende des Zweiten Weltkriegs. Meistens enden diese Erzählungen in den späten 1940er Jahren. Ganz übersehen wird dabei, dass im „Pruzzenland“ noch viele Menschen lebten, denen eine Entscheidung zwischen Deutsch-Sein und Polnisch-Sein schwerfiel. Seit den 1950er Jahren wuchs allerdings rasch die Attraktivität der Bundesrepublik Deutschland. Die polnischen Behörden reagierten darauf hilflos.

Dok. 26: 20. März 1950. Schreiben des Starosten von Mrągowo an den Wojewoden von Olsztyn

AP w Olsztynie, UWO, sygn. 279, Bl. 7.

Ich teile Ihnen, Bürger Wojewode, mit, dass im hiesigen Landkreis Gerüchte über die angebliche Ausreise aller bislang noch getrennten Familien in die Gebiete jenseits der Oder umgehen. Im Zusammenhang damit hat sich die Zahl von Anträgen für eine Ausreise nach Deutschland deutlich erhöht und eine nachgerade ungesunde Hysterie entwickelt. Die Bevölkerung, die nach Deutschland ausreisen will, sitzt zum größten Teil bereits auf gepackten Koffern und hat, um für die Reise genügend Proviant zu haben, Geflügel und sogar Schweine geschlachtet.

Das Kreiskomitee der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PZPR), die örtlichen Behörden und der staatliche Sicherheitsdienst unternehmen alles, um die schädliche Propaganda zu unterbinden, aber ohne Wirkung. Auf sämtliche vernünftige Argumente reagiert die Bevölkerung folgendermaßen: „Ihr lügt uns an, wenn ihr sagt, es gebe keine Transporte. Uns schreiben sie uns, dass es Transporte gibt und dass wir alle ausreisen können.“

Einen entsprechenden Ausschnitt aus der deutschen Presse lege ich bei. Am 14.3. dieses Jahres hat der Bezirksleiter des Polnischen West-Verbandes (PZZ) in Mrągowo gegenüber dem Referenten für politische und gesellschaftliche Angelegenheiten, Stabrowski, geäußert, dass in Pisz Abgesandte der Miliz offiziell herumgehen und die Bevölkerung für die Ausreise nach Deutschland schriftlich erfassen. Davon hat dem Bürger Rataj der Bürger Aptacy aus Pisz berichtet, der Mitglied des Bezirkskomitees des Polnischen West-Verbandes im Kreis Pisz ist.

Die verbreitete Propaganda hat ungünstigen Einfluss auf die Haltung der örtlichen Bevölkerung zur Erntearbeit. Die Bürger Ortsvorsteher haben mir in der Besprechungsrunde vom 14. März 1950 gemeldet, dass die örtliche Bevölkerung immer noch unter dem Einfluss von Gerüchten über eine Ausreise in die Gebiete jenseits der Oder steht und ihren Aufenthalt in den hiesigen Gemeinden als vorübergehend ansieht, daher kümmert sie sich auch überhaupt nicht um die Bewirtschaftung ihrer Höfe. Diese Haltung hat zwar noch keinen massenhaften Charakter, aber in mehreren Gemeinden häufen sich die Fälle, dass die autochthone Bevölkerung ihre Höfe aufgibt, ohne dies den Behörden offiziell mitzuteilen, und stattdessen eine Arbeit in den staatlichen Landwirtschaftsgenossenschaften (PGR) aufnimmt.

Angesichts des oben Gesagten bitte ich den Bürger Wojewoden um eine Entscheidung, welche Mittel angewendet werden sollen, um die schädliche Propaganda einzudämmen.

[Originalsprache polnisch]

Aktiv werden


Quelle: Jankowiak, Stanisław (Hrsg.): Wyjazdy Niemców z Polski w latach 1950 – 1959. Wybór dokumentów, Poznań 201