Wer zieht hier um?

Ein deutsches Schulbuch hat dieses Bild kürzlich abgedruckt und gab sich sicher: Es zeigt die Flucht der deutschen Bevölkerung aus Ostpreußen im Januar 1945. Ein Schulbuch ist ein Medium, dem die allermeisten Schülerinnen und Schüler Vertrauen entgegenbringen. Umso fataler ist es, wenn die angegebene Bildunterschrift nicht stimmt. Das Bild zeigt vielmehr den Treck deutscher Siedler aus Wolhynien im Jahre 1942, die auf Veranlassung der Nationalsozialisten ihre Heimatorte verließen und sich in den besetzten Gebieten Polens ansiedelten.

Nun wäre es ein Leichtes, auf unzuverlässige Schulbücher zu schimpfen. Falsch zugeordnete Bilder sind in der Geschichte des 20. Jahrhunderts allerdings leider keine Seltenheit. Anders als für frühere Jahrhunderte stehen Fotografien in großer Zahl zur Verfügung und verleiten rasch zu einer möglichst eindrucksvollen Illustration historischer Ereignisse, doch das Bewusstsein, dass auch hier eine sorgfältige Quellenkritik vonnöten ist, so wie dies beispielsweise für eine mittelalterliche Handschrift als selbstverständlich gilt, entsteht erst allmählich. Ein Bild mit Menschen und Gepäck auf Pferdewagen könnte genauso auch Umsiedler aus den 1944 sowjetisch gewordenen Ostgebieten Polens oder polnische, russische und ukrainische Neusiedler im „Pruzzenland“ nach 1945 zeigen. Ohne genaues Wissen um die Entstehungszeit eines Fotos, die Person des Fotografen oder den späteren Bestimmungszweck des Fotos können wir das nicht beurteilen.

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Bildquelle: Der Treck der Volksdeutschen aus Wolhynien, Galizien und dem Narew-Gebiet. Berlin 1942, S. 25.