Nicht erst mit der NS-Machtergreifung 1933 wurde das Bedrängnis der jüdischen Bevölkerung im „Pruzzenland“ deutlich spürbar. Vielmehr beklagten Vertreter der jüdischen Gemeinden Ostpreußens bei einer Tagung Ende 1934 die schon seit rund einem Jahrzehnt anhaltende massive Abwanderung von Juden aus der Region und ein verbreitetes Gefühl von Zukunftslosigkeit.

Dok. 149: Pariser Tageblatt: Artikel vom 30. Dezember 1934 über eine Tagung ostpreußischer Gemeinden zum Rückgang und zur Verarmung der jüdischen Bevölkerung

25 Prozent der ostpreußischen Juden ausgewandert. Kritische Lage der Gemeinden

Königsberg, 29. Dezember. In einer Versammlung des Provinzialverbandes der ostpreussischen Gemeinden, an der die Gemeinden Königsberg, Allenstein, Bartenstein, Braunsberg, Elbing, Goldap, Insterburg, Marienwerder, Osterode, Rastenburg, Tilsit und Zinten teilnahmen, gab Gemeinderabbiner Dr. Lewin (Königsberg) auf Grund umfangreicher statistischer Arbeiten einen Ueberblick über die Bevölkerungsbewegung in den ostpreussischen Gemeinden. In ganz Ostpreussen hat die angestammte Judenheit im Jahre 1933 gegenüber dem Jahre 1925 eine Abnahme von etwa 22 Prozent zu verzeichnen. Dazu kommen noch die fortgezogenen ausländischen Juden.

Während 1931 noch 53 Beamte in 63 Gemeinden tätig waren, sind im Jahre 1934 nur noch 29 Beamte in 56 Gemeinden vorhanden. Welche katastrophalen Verhältnisse in einigen Gemeinden herrschen, bewies ein Hinweis auf Elbing, wo in sechs Jahren ein einziges jüdisches Kind geboren worden ist. Rühmend wurde bei einzelnen Gemeinden hervorgehoben, dass sie einen Rückgang der Bevölkerungszahlen dadurch vermieden haben, dass Geschäftsinhaber jüdische Handlungsgehilfen und Handlungsgehilfinnen eingestellt haben.

Als besonders traurig wurde aber immer wieder hervorgehoben, dass die Steuerfähigkeit der Gemeindemitglieder in viel kritischerem Umfange abgenommen habe als die Zahl der Gemeindemitglieder selbst, und dass sich in vielen Gemeinden feststellen lasse, dass gerade die leistungsfähigsten Mitglieder die Gemeinde verlassen haben. Die Tagung zeigte trotz allem Drückenden und Schweren einen erfreulichen Optimismus und den allseitigen Willen zur Arbeit.

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Quelle: Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933 – 1945, Bd. 1: Deutsches Reich 1933 – 1937, bearb. von Wolf Gruner, München 2008.