Wie erging es den Deutschen, die nach 1945 im „Pruzzenland“ geblieben waren? Der katholische Messdiener Johannes Gehrmann erzählt von den großen Veränderungen, die durch die Einführung der polnischen Sprache und der polnischen kulturellen Traditionen, aber auch des kommunistischen Systems ausgelöst wurden.

Bericht von Johannes Gehrmann:

Langsam normalisierte sich auch das religiöse Leben. Im Jahre 1945 wurde zwar nicht mehr deutsch gepredigt, sondern nur polnisch, aber Pfarrer Barkowski hat wenigstens noch das Evangelium außer in Polnisch auch in Deutsch vorgetragen.

Ab 1946 wurde das nicht mehr erlaubt. Auch die deutschen Abendmessen, die in der jakobi-Kirche in Allenstein noch bis zum Frühjahr 1946 gehalten wurden, waren dann auf einmal nicht mehr erlaubt. Wir deutschen ergaben uns in unser Schicksal, und für uns Kinder, die wir von Politik keine oder nur kaum Ahnung hatten, war das auch kein Problem. Im Laufe eines Jahres hatten wir schon etwas Polnisch gelernt, also sangen wird die polnischen Kirchenlieder, die zum größten Teil sehr wohlklingende Weisen haben, besonders die Weihnachtslieder.

Was uns Deutschen fremd in der Kirche vorkam, das war der polnische Nationalismus, der eine Eigenart der polnischen Kirche war und immer noch ist. Wenn die „kirchliche Nationalhymne“ Boże coś Polskę... [Gott, der du Polen…] angestimmt oder gesungen wurde, dann blieb mein Mund stumm. Ebenso schwer fiel es uns, bei der Muttergottes-Litanei die Fürbitte zu beantworten: „Königin der polnischen Krone, bitte für uns!“ Erst als ich mit dem geschichtlichen Hintergrund dieser Fürbitte bekannt gemacht wurde, vermochte ich darauf zu antworten.

Gebeichtet haben wir bei den damals noch reichlich vorhandenen deutschen Beichtvätern in unserer deutschen Muttersprache. In Bertung habe ich es nicht gehört, daß dort jemand wegen seiner deutschen Beichte vom Priester abgewiesen wurde, andernorts soll das geschehen sein. Im Frühjahr 1946 merkten wir dann auch, daß wir nicht von freien, demokratischen Polen, sondern von Kommunisten verwaltet wurden. Ich kann mich daran erinnern, daß an einem Sonntag ein diesbezüglicher Hirtenbrief der polnischen Bischofskonferenz verlesen wurde, der gegen diese Machenschaften protestierte. Der Pfarrer wurde beim lesen dadurch unterbrochen, daß eine Frau in den hinteren Bänken der Kirche das gläubig-kämpferische Lied anstimmte: My chcemy Boga [Wir wollen Gott], die ganze Gemeinde stimmte voller Inbrunst in dieses Lied ein, man sang alle Strophen. Mit diesem Lied wurde auch mir der Ernst der Stunde und der Zeit bewußt.

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Quelle: Nachkriegsalltag in Ostpreußen. Erinnerungen von Deutschen, Polen und Ukrainern,  hrsg. von Hans-Jürgen Karp und Robert Traba [Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands, Beiheft 16], Münster 2004, S. 453 – 454.