Zur Wiedererlangung der staatlichen Unabhängigkeit der baltischen Länder 1990/91 führte kein Mauerfall, kein Runder Tisch, keine „samtene Revolution“, sondern die „singende Revolution“. Musik spielte aber schon viel früher eine herausragende Rolle für die Litauer, wie der Pfarrer Teodor Lepner im 17. Jahrhundert für das „Pruzzenland“ feststellte.

Die X. Abtheilung

von

Der Litthauer Music u[nd] derselben Instrumenten

Der Littau ist geneigt zum Heulen, Spielen, Singen

Die Kankel, Trub, Geig, Pfeiff mus bey Ihm offt erklingen.

Sie haben eine sonderlich Arth Trompeten oder Posaunen, welche Sie Truba nennen. Diese ist inwendig holl, von dannen-Holtz außgehählet, am Ende zimlich breit und rund,// wie eine Posaune, außwendig mit Daver (Birckenen Rinden) deicht umbwunden, über ein Klaffter lang. Zwey Kerdel blasen auf solchen ihren Posaunen gleich, welches einen ziemlichen Schall giebet. Sonsten haben sie den so von den Deutschen genannten Schweins-Kopff (Kanklos) mit 9 oder 12 Messings Seyten bezogen, die Trummel, Quer- und andere Pfeiffen, eine Fiddel und ein Brum-Eisen, dieses kauffen sie nur auß dem // Krahm, die ander itzt benennte Stücke machen Sie alle selbsten. Solche Künstler sind sie! Nach dieser ihrer beschriebenen Instrumental-Music, muß ich auch ihrer Vocal-Music gedencken. Sie sind alle Componisten, die ihren Liedern Selbsten die Weise geben, wiewoll sie einige auch von den Deutschen erlernen. Ihr Kehle ist meistentheils so helle, wie jenes Thieres, das die Schaaf auffrist. Sie sind von Natur zum Singen geneigt, und also // schöne Musici naturales, welche die Zuneigung zum Singen mit auf die Welt gebracht, dannenhero entstehet von den Weibern und Mägden in ihren Gerlachen so ein Geheul und Gesum[m], daß man die Ohren davor zustopffen muß. Die Kerdels legen Sich auf diese Wißenschafft nicht sonderlich, sondern nur die Weiber und Mägde, welche auch des Morgens vom andern Hahnen-Geschrey an, biß es taget, bey der Hand-Mühlen, da das Gesum[m] der hand-Mühlen ihnen gleichsam zum Bass // und Fundament dienet, musiciren. Die Materie ihres Gesanges, oder vielmehr Geheules, sind Buhlen-Lieder, sie handeln auch von solchen Sachen, waß ihnen nur einfält und vor Augen stehet. Einige gar wenige singen auch bey der Querdel geistliche Lieder, welches in ihren Gelachen beym Trunck von Mannes- und Weibes Personen geschiehet, davon Wilhelmus Martinius, Wey[land] Pfarrer zu Werden im Müm[m]elischen, artig Nachricht giebet, in seinem Lob-Gedicht über // das Littauische Gesang-Buch, mit diesen Worten:

A lituo nomen ducis gens Lithuania agresti

Natura gaudes carmine, ut et lituo.

Nam pecus in domitum modulans ad pascua mittis,

Et repetis JEHU laetus aratra tenens,

Taedas, exequias, nec non convivia cantas,

Decantas ululans,quicquid in orbe vides.

Welches ich also deutsch gegeben: //

Littauisches Volck, du wirst, halt ich, also benennet,

Von einer feld-Tromopet, wie Sie im Griechschen heißt,

Dein hertz zum Schall‘, Gesäng‘ und Reim nathürlich bren[n]et,

Du teibst dein muntres Vieh‘, das sich dem Stall entreiß’t,

Zur Weid‘ im Singen auß; Du schrey’st GEHU beym Pflügen,

Mit unermüdter Stim[m]. An deinen Hoch-Zeit-Tag,

Beym Tauff- und andern Mahl, zu Hauß und in den Krüg[en],

Heul’stu von allen dem, waß dir bekandt seyn mag.//

Aktiv werden


Quelle: Teodor Lepner: Der Preusche Littau/Teodoras Lepneris: Prūsų lietuvis, hrsg. von Vilija Gerulaitienė, Vilnius 2011, S. 98 – 99.