Heute ist fast in Vergessenheit geraten, dass es früher einmal einen wahren Kult um die preußische Königin Luise gab. Ein Ereignis, das diesen Kult entscheidend anfachte, hatte seinen historischen Ort im „Pruzzenland“, im Friedenschluss von Tilsit zwischen dem russischen Zar Alexander I. und dem französischen Kaiser Napoleon. Luise versuchte, auf Napoleon einzuwirken, doch vergebens.

Dieses Abkommen bedeutete für Friedrich Wilhelm III. den Verlust der Hälfte seines Gebietes. Er konnte sich nicht darein finden. Da rieten ihm wohlmeinende französische Heerführer, seine Gemahlin nach Tilsit kommen zu lassen, wo über den Frieden verhandelt wurde. Sie sollte bei Napoleon ein gutes Wort für Preußen einlegen, vielleicht daß dadurch die Bedingungen gemildert werden könnten. Für die Königin Luise war das eine arge Zumutung. Sie mußte von dem Manne eine Gunst erbitten, der nach seinem Einzuge in Berlin gehässige Verleumdungen über sie verbreitet und ihren guten Ruf durch Verdächtigungen in den Staub zu ziehen gesucht hatte. Trotzdem war sie bereit, das Opfer zu bringen; galt es doch, ihrem Volke und Vaterlande nützlich zu sein. So reiste sie von Memel nach Tilsit und hatte eine Unterredung mit Napoleon. Sie bat ihn, wenigstens Magdeburg bei Preußen zu belassen, doch vergebens. Er fragte hochmütig: „Wie konnte Preußen es wagen, mit mir Krieg anzufangen?“ Sie erwiderte mit edlem Stolze: „Sire, dem Ruhme Friedrichs des Großen war es erlaubt, uns über unsere Kräfte zu täuschen, wenn anders wir uns getäuscht haben.“ […]

Die Königin Luise stand immer in der ersten Reihe, wo es galt, dem vaterlande aus tiefster Not zu helfen. Sie tat es mit der größten Opferwilligkeit und stand ihrem Gemahl in den Tagen des Unglücks bei. Sie folgte ihm 1806 bei Ausbruch des Unglücklichen Krieges ins Feld und verließ ihn erst, als eine Entscheidungsschlacht in Sicht war und die Offiziere für das Leben der Königin nicht mehr den nötigen Schutz gewährleisten konnten. Als Napoleon in Berlin einzog, flüchtete sie mit den beiden Prinzen über Schwedt a. O., wo sie im Schloß übernachtete, nach Königsberg i. Pr., und als Napoleon 1807 auch in Ostpreußen einrückte, nach Memel. Dem Könige und dem Vaterlande zuliebe tat sie den schweren Gang nach Tilsit und demütigte sich vor Napoleon. Selbst in den trübsten Tagen verlor sie nicht den Mut und suchte den oft verzagenden und mutlosen König aufzurichten. […]

Ein Lieblingswunsch wurde der Königin in ihren letzten Lebensjahren erfüllt. 1808 hatte sie das ungastliche Memel mit Königsberg i. Pr. als Aufenthaltsort vertauschen dürfen; im Jahre 1809 sah sie dann ihre geliebte Hauptstadt Berlin wieder. Der jubelnde Empfang galt vor allem ihr. Ein paar Monate darauf reiste sie zu ihrem greisen Vater, dem Herzoge von Mecklenburg-Strelitz. Auf seinem Schlosse Hohenzieritz erkrankte sie an einer Lungenentzündung und starb am 19. Juli 1810, erst 34 Jahre alt. In einer Kapelle zu Charlottenburg, dem Mausoleum, wurde Luise beigesetzt. Über ihrem Grabe schuf der Bildhauer Rauch seinen berühmten Marmorsarkophag, auf dem die Königin wie eine Schlafende ruht. Das preußische Volk aber ließ es sich nicht ausreden, daß der Schmerz über das Unglück ihres Vaterlandes Luisens Herz gebrochen habe, daß also auch sie ein Opfer der Napoleonischen Gewaltherrschaft sei. Als die Freiheitskämpfer 1813 in den Krieg zogen, da riefen sie die Verklärte wie eine Heilige an, die ihren Waffen den Sieg verleihen sollte. So faßte man denn auch das Unterliegen Napoleons als eine gerechte Strafe für ihren Tod auf. „Luise, du bist gerächt!“ soll Blücher angesichts des eroberten Paris ausgerufen haben.

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Quelle: Kraffzick, A.: Geschichte des deutschen Volkes. Für katholische mehrklassige Volksschulen und angegliederte Mittelschulklassen gemäß den ministeriellen Richtlinien vom 15. Oktober 1922, bearb. von Franz Seewald. Heft 2: Von der französischen Revolution bis 1925.