Der Süden des „Pruzzenlandes“ kam 1945 zu Polen und wurde in der staatlichen Propaganda als „wiedergewonnenes Gebiet“ gefeiert. Allerdings war in praktischer Hinsicht nicht ganz so offensichtlich, was mit dem neuen Gebiet anzufangen war. In das wirtschaftliche Wiederaufbau-Ideal der Nachkriegsjahre mit rauchenden Fabrikschloten passte es nicht.

Die masurische Wojewodschaft besitzt keine Schwerindustrie. Außer riesigen Vorkommen von Torf, Raseneisenstein und wertvollem Kalk sowie etwas Braunkohle an der Grenze der beiden Landkreise Olsztyn und Nibork gibt es hier so gut wie keine Bodenschätze. Als durch und durch agrarisches Land besitzt Masuren derzeit nicht so eine Anziehungskraft wie Schlesien. Es ist verständlich, dass sich das ganze Bemühen der polnischen Regierung in der ersten Phase des Wiederaufbaus auf diejenigen Gebiete richtete, die für raschen Ertrag sorgen. Kohle und Eisenerz sind Wirtschaftsfaktoren, die das ganze Land wieder auf die Beine bringen. Es wäre jedoch sehr gefährlich, die Aufmerksamkeit von den nördlichen Grenzgebieten unseres Staates abzuwenden. Die natürlichen Voraussetzungen dieses Landes machen es zu einem der zukunftsträchtigsten Teile unseres Wirtschaftsorganismus.

Die Grundlage der Wirtschaft in Masuren ist der Ackerboden. Die leichten Böden und das ausgesprochen wechselhafte Klima verlangen vom Landwirt viel Standhaftigkeit und Arbeit. Der Wolhynier, der es gewohnt ist, dass die Erde von alleine für ihn arbeitet, flüchtet beim Anblick der sandigen Böden in Masuren auf der Stelle. Wichtig ist daher die Frage, wem man die Bestellung des Bodens anvertraut. Das am besten passende menschliche Material scheint der Repatriant aus dem Gebiet von Wilno zu sein: geduldig, arbeitsam und wenig fordernd, der hier nahezu dieselben klimatischen Bedingungen und Böden vorfindet, wie er sie selbst zurücklassen musste. Das Bemühen der Ansiedlungsbehörden sollte es daher sein, um jeden Preis einen solch wertvollen landwirtschaftlichen Arbeiter in der Wojewodschaft zu halten.

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Bei vollständiger Besiedlung und Ausstattung des Landwirts mit dem nötigen Gerät und Vieh, sollte die masurische Wojewodschaft in nicht allzu lange Zeit zur Kornkammer für ganz Polen werden. Zur Landwirtschaft gehört auch die Viehaufzucht, die hier hervorragende Entwicklungschancen hat, vor allem in den Landkreisen im Norden. Dies wiederum schafft große Möglichkeiten für die lebensmittelverarbeitende Industrie. Ostpreußen hat noch im vorangegangenen Krieg eine Bevölkerung von 2 Millionen Menschen ernährt und darüber hinaus nach Deutschland über 500 Mio. kg Getreide geliefert sowie 15 000 Pferde, 220 000 Rinder, 60 000 Schafe, 650 000 Schweine, 126 000 Doppelzentner Butter und 394 000 Doppelzentner Käse exportiert. Wie man aus der Beschäftigung von rund einer halben Million Kriegsgefangener im letzten Krieg schließen kann, war die landwirtschaftliche Produktion Ostpreußens wohl noch weitaus höher. Wie wir daraus ersehen können, kann die masurische Wojewodschaft eine bedeutende Rolle als fruchtbares, ernährendes Land spielen, was man nicht geringschätzen sollte.

[Originalsprache polnisch]

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Quelle: Joanna Szydłowska und Jan Chłosta (Hrsg.): Spotkania. Wybór reportaży o Warmii i Mazurach z lat 1945 – 1949 (Biblioteka Olsztyńska, Bd. 45), Olsztyn 1999. Zbigniew Przygórski: Na fałszywych tropach, in: Odrodzenie, 1946, H. 19, S. 1 – 2.