Die Frühe Neuzeit war in Religionsfragen eine sehr bewegte Zeit. In einem Teil des „Pruzzenlandes“, im Herzogtum Preußen, galt seit 1525 der protestantische Glaube. Das Ermland dagegen blieb katholisch, ebenso wie Polen-Litauen, obwohl es hier zeitweise starke protestantische Einflüsse gab. Wie diese religiösen Verwicklungen vor Ort aussehen konnten, zeigt die Geschichte einer kleinen Kapelle in der Nähe von Tilsit.

Die katholische Mission in Tilsit war im 17. Jahrhundert die einzige, die sich in Ostpreußen erhalten hatte. Auf dem Reichstage zu Warschau im Jahre 1690 wurde auf Bitten des Adels der Wunsch angeregt, man solle beim Herzog in Preußen, Friedrich von Brandenburg, um Erlaubnis nachsuchen, die in Ruinen liegende Kirche auf den Derengowskischen Gütern (jetzt Drangowski) bei Tilsit wieder aufzubauen. Eine polnische Kommission, die zum Kurfürsten nach Königsberg ging, brachte im Verein mit dem Bischof von Samogitien Kasimir Pac diese Bitte vor und erhielt gern die Bewilligung. Am 27. Mai verfügte Friedrich an die preußische Regierung, „daß das Kirchlein oder Kapelle, so vor diesem bei Tilse auf des Derengowski Gütern gestanden und wovon die rudera annoch sollen zu sehen sein, an eben dem Orte und in eben der Größe, wie es vorhin gewesen, mit einem Zaun umher, (damit das Vieh nicht hinauflaufen kann) wieder aufgebaut werden soll.“ […]

Bis 1724 scheinen die Jesuiten ruhig und ungestört ihres Amtes gewaltet zu haben. Da erging am 28. Oktober 1724 von Berlin ein Erlaß an die preußische Regierung, man könne zwar nicht mehr daran denken, die Katholiken aus Tilsit wieder zu vertreiben, da diese von dem vater des regierenden Königs die Erlaubnis zur Niederlassung erhalten hätten; allein „der katholische Gottesdienst muß präzise in den durch die Verordnungen koncedierten terminis bleiben. Besonders muß präkaviert werden, daß die Jesuiten sich dort kein Etablissement machen. Ihr habt die zu Tilsit sich befindenden Jesuiten, auch andere Vorsteher der dortigen katholischen Kirche vor Euch zu fordern und denselben zu deklarieren: … Wir prätendierten, daß der katholische Gottesdienst zu Tilsit nicht durch Jesuiten, sondern durch andere Geistliche inskünftig verrichtet, die Jesuiten aber allda gar nicht mehr geduldet werden sollten, weil wir wüßten, daß dieselben allda ein förmlich Kollegium einrichten wollten.“ … Der Streit zwischen dem Könige und den Jesuiten hat sich bis 1738 hingezogen. […]

Am 20. Januar d. J. erließ der König von neuem den Befehl, die Jesuiten sollten sich binnen zwei Monaten von Tilsit wegbegeben. Dem energischen Auftreten des Bischofs von Wilna, der mit Repressalien gegen die reformierten Gemeinden in Litauen drohte, und dem persönlichen Eingreifen des litauischen Unterkanzlers, Fürsten Czartorinsky (sic!), gelang es, den König zu dem Edikt vom 29. April zu bewegen, wonach den Jesuiten unter der Hand mitgeteilt wurde, „daß sie vorerst noch connivendo geduldet werden sollten, daß aber, wenn die Dissidenten in Polen und Litauen noch weiter hart gehalten und verfolget würden, Wir mit unseren römisch-katholischen Unterthanen auf gleichem Fuß umgehen und in specie sie, die Jesuiten, welche ohnehin kein Recht in Tilsit zu bleiben hätten, sofort von dort wegschaffen lassen würden.“ […]

So hatte sich die kleine Kapelle bei Tilsit trotz aller Stürme erhalten und mußte noch immer den Anforderungen der katholischen Gemeinde genügen. Wie schwer es die Priester hatten, ergiebt sich aus einem Bericht vom 19. Januar 1778 aus Tilsit an den päpstlichen Nuntius in warschau, der dem Pater Jos. Willich sechs Fragen zur Beantwortung vorgelegt hatte: 1. Wie steht es mit unserer Mission? 2. Welches ist der Ort? 3. Von wo pflegte man früher die Missionäre herzuholen? 4. Welche Güter gehörten dazu? 5. Welches ist der gegenwärtige Bestand an Missionären? 6. Wie ist der Zustand und die Gestalt der Kirche? Auf diese Anfragen antwortet Willich unter anderem: Wir wohnten hier früher 4, meist 5 Personen, die für die apostolische Arbeit kaum genügten, im offenen Felde eine halbe Meile von Tilsit entfernt; in Preußen besitzen wir überhaupt nichts außer der kleinen Kapelle und einer sehr engen Wohnung. Der Hof, der zugleich als Begräbnisplatz dient, ist so enge, daß ein wagen darin nicht umwenden kann. Von hier muß man öfter zu den Kranken bis 12 Meilen hinauseilen; man muß Pferde unterhalten, einen Stallknecht, Sakristan, Knaben, einen Organisten und Schulmeister; zu geschweigen von den geflickten Dächern der kapelle und der Wohnhäuschen. Den augenblicklichen Zustand der Mission erklärt er für höchst jämmerlich: „Wir sind nur noch zwei Missionäre übrig, ich der deutsche, der andere der litauische; die Arbeit ist über die Kräfte, ich habe schon fast 30 Jahre im Weinberge des Herrn gearbeitet, oft schwach und krank; am letzten Weihnachtsfest hatte das deutsche Volk gar kein Wort Gottes, ich war bettlägerig. Wenn ich doch einen tüchtigen Gehilfen erlangen könnte! aber womit ihn unterhalten? Wir leben nur von Bettelbrot, meistens von seiten der Lutherischen, die, von Unglück oder Krankheit bedrängt, zu unserer Kapelle kommen und um Gebete bitten zur Abhilfe ihrer Leiden, und wenn sie gesund geworden sind, aus Dankbarkeit ein kleines Almosen darbringen.“

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Quelle: Theodor Preuß: Ein Beitrag zur Geschichte der katholischen Mission in Tilsit, in: Mitteilungen der Litauischen litterarischen Gesellschaft, 25, 1990, S. 76 – 85.