Ausreisen oder bleiben? Diese Frage bewegte viele Ermländer und Masuren nach 1945. Auch in den Kirchengemeinden entstanden darüber Spannungen und Konflikte, wie Ernst Langkau nicht nur bei seiner Ausreise in den 1970er Jahren, sondern auch bei einem erneuten Besuch im freien Polen in den 1990er Jahren bemerken musste.

Bericht von Ernst Langkau:

Ich hatte während meiner Zeit in Jonkendorf immer eine gute oder nur zeitweise etwas schwierige Beziehung zum Pfarrhaus. So wurde ich auch zu den Empfängen anläßlich der bischöflichen Visitationen eingeladen. Kannte dadurch Bischof Drzazga, Bischof Wilczyński, Weihbischof Obłąk und Weihbischof Wojtkowski. Letzterer war im Jahre 1976 zur Visite in Jonkendorf. Bin mit ihm in den einzelnen Dörfern unserer Pfarrgemeinde gewesen, wo er ermländische Familien besuchte und auch deutsch sprach. „Liebe Ermländer, bleibt doch hier“, bat er in seiner Predigt.

Damals reisten viele Ermländer aus. Oder hatten dafür Anträge gestellt. Die meisten Ermländer haben sich von ihrer Heimatkirche mit einer besonderen Hl. Messe verabschiedet. So auch ich mit meiner Familie. Es geschah unter vielen Tränen. Hatten doch meine Großeltern mütterlicher- und väterlicherseits so viel für deren Ausbau und deren Erhaltung getan. Aber meine Entscheidung für die Ausreise, getroffen nach vielen Überlegungen und Aussprachen mit der Familie, ist wohl auch heute noch als richtig anzusehen. Waren doch alle ermländischen Priester, auch jene, die uns für ein Verbleiben in der Heimat überreden wollten, aus verschiedenen Gründen in den Westen ausgereist. Eine der wenigen Ausnahmen war Pfarrer Herrmann aus Rosengarth, Kr. Heilsberg. Sicher waren auch die Priester von den Kommunisten bedrängt. Aber der Kapitän verläßt sein Schiff als letzter, sagt ein Sprichwort. Erinnere mich noch an eine Predigt des verstorbenen polnischen Pfarrers Pietkiewicz in Groß Bertung, wo er öffentlich zwei ermländischen Familien verabschiedetet, ihnen Gottes Segen wünschte und am Ende sagte: „Ihre Plätze bleiben leer.“ Diese Meinung wurde aber weder in Spitzengremien des States noch denen der Kirche vertreten. „Es werden neue herrliche Menschen sich hier ansiedeln“, sagte damals Bischof Glemp in Allenstein in einer Predigt, und als Primas in Tschenstochau sagte er, daß wir Ermländer, wie erwähnt, die Heimat aus niedrigen Beweggründen verlassen hätten. Und wenn noch heute ein katholischer polnischer Professor die Vertreibung als notwendiges Übel bezeichnet, so trägt dieses weder zu einer Annäherung noch zum Aufbau von Vertrauen bei.

Im Jahre 1993 feierte die Pfarrgemeinde Jonkendorf ihr 650-jähriges Bestehen. Bin mit meinem Sohn, der damals noch studieret, für drei Tage hingefahren, Fr die Erneuerung der Kirche hatten wir Jonkendorfer einiges gespendet. Am Ende des Festgottesdienstes sang man dann die Rota, wo es in einer Strophe heißt: „Es wird der Deutsche uns nicht ins Gesicht spucken und unsere Kinder germanisieren“ – wir verließen sofort die Kirche, Habe trotzdem weiterhin Kontakt zum Jonkendorfer Pfarrer. Aber so etwas schmerzt sehr. Trafen nach dem Gottesdient den polnischen Bürgermeister, der mich zu einem internen Treffen ins Feuerwehrhaus einlud. Es waren auch polnische Prominente dabei, darunter ein Sejm-Abgeordneter, den ich von früher kannte und mit dem ich auf „Du“ war. In der Ansprache wurde ich immer wieder lobend dafür erwähnt, was ich einst für Jonkendorf getan hätte. Erhielt Einladungen zu Gesprächen, falls ich mal wieder zu Besuch käme.

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Quelle: Nachkriegsalltag in Ostpreußen. Erinnerungen von Deutschen, Polen und Ukrainern,  hrsg. von Hans-Jürgen Karp und Robert Traba [Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands, Beiheft 16], Münster 2004, S. 461 – 462.