Die meisten bekannten Erzählungen über die Jahre nach 1945 im „Pruzzenland“ zeichnen ein düsteres Bild von Not und Bedrängnis. Eine überraschende Abwechslung ist es, wenn auch einmal Jugendliche und ihr Spaß am Leben im Blickpunkt stehen.

Bericht von Alicja Fidrysiak:

Die in den wiedergewonnenen Gebieten Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre herrschende Atmosphäre war ungewöhnlich fröhlich. Mit der Zeit überlagerte dieses vergnügliche Klima die ganz anderen, manchmal unliebsamen Erinnerungen.

Wenn sich Genowefa Nogajewska an ihre Angerburger Jugendzeit erinnerte, sagte zu ihrer 20-jährigen Tochter: „Es ist traurig, dass ihr ohne größere Mengen Alkohol überhaupt nicht vergnügt sein könnt. Uns reichte ein Glas Wein für die ganze Nacht. Es prickelte im Körper wie eine ganze Flasche Champagner.“

Zu den Tanzfesten gingen sie in Gruppen. In der Herbst- und Winterzeit fanden die Tanzveranstaltungen in den Ruinen des ehemaligen Theaters statt. Inmitten eines Schuttberges war erstaunlicherweise ein fast unbeschädigter Saal stehen geblieben, in dem die Jugend sich nächtelang amüsierte. Wichtig war natürlich das Tanzen, zum Beispiel der englische Walzer, der amerikanische langsame Walzer, der Slowfox oder Foxtrott, noch wichtiger jedoch die Gespräche an den Tischchen, die Scherze, Anekdoten und das gutmütige Spötteln über die hoffnungslos verliebten Jungen oder die zu sehr aufgeputzten Mädchen. Interessant war, wenn die Mentalität der Leute aus dem Gebiet jenseits des Bug, die häufig mit Literatur, Film und Theater auf Kriegsfuß standen, mit dem geistreichen Witz ihrer Freunde aus Wilna, Kaunas oder Lida, die vor dem Krieg Theatervorstellungen, Kinofilme oder Kabarettprogramme besucht hatten, aufeinander prallten. Hits waren z. B. zwei ziemlich frivole, aber leicht eingängige Lieder. […]

Abwechselnd erklangen anzügliche, typische Kabarettlieder, das weitschweifige, nostalgische „Sokoly“ (Falken) aus der Ukraine, ein lebhaftes weißrussisches Tanzlied oder das patriotische Ulanenlied „Wojenka, Wojenka“ (Krieg, Krieg).

Im Sommer fanden Tanzveranstaltungen statt, meistens an der Anlegestelle am Angerburger Kanal, die sich mitten in der Stadt befand. Der Mauersee, drei bis vier Kilometer vom Zentrum entfernt, zog die jungen Leute wie ein Magnet an. Nach der Arbeit versammelten sich die Leute und liefen zum Strand, wo man Volleyball spielte und dann badete. Diejenigen, die Ruhe suchten, „wässerten die Ruten im See“ und brachten dann Säcke voller Fische nach Hause, die Wannen und Waschschüsseln füllten. Zu den größten Attraktionen gehörten Ausflüge mit einem kleineren Ausflugsschiff, das den Kanal verließ und einige Stunden lang die masurischen Seen befuhr. Gienia Mojska schickte ihrer Familie in Polany zwei kleinere Fotos, die an der Anlegestelle kurz vor dem Ablegen des Schiffes aufgenommen wurden. Alle darauf Abgebildeten lächeln, sind fröhlich und freuen sich des Lebens.

Die Integration der Bevölkerung ging langsam vonstatten, obwohl die anfängliche Konfrontation der masowischen Sitten mit der übertriebenen Bescheidenheit der Menschen aus den Gebieten jenseits des Bugs manchmal urkomisch war. Gienia zum Beispiel behielt lange einen peinlichen Vorfall in Erinnerung. Als eine Bekannte aus dem früheren Kongresspolen sie zur Begrüßung auf die Wange küsste, wich das Mädel aus Polany wie elektrisiert von der Schamlosen zurück und schrie die erstaunte Masowierin an: „Du Schwein!“

Von der Freiheit berauscht, eine Stimmung wie Champagner – dies alles war der Liebe und der Paarbildung förderlich. Das Ergebnis war somit in Kürze eine ansehnliche Anzahl von Eheschließungen und danach Kindergeburten.

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Quelle: Nachkriegsalltag in Ostpreußen. Erinnerungen von Deutschen, Polen und Ukrainern,  hrsg. von Hans-Jürgen Karp und Robert Traba [Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands, Beiheft 16], Münster 2004, S. 433 – 434.