Seltsam ist diese Geschichte, mögen diejenigen denken, die die Verehrung der heiligen Jungfrau Maria zwar mit Polen und Litauen verbinden, aber ganz sicher nicht mit dem Deutschen Orden, der lange Zeit als politischer Erzfeind der beiden Länder galt. Ebenso ungewohnt ist heute wohl auch das in dieser Geschichte zum Ausdruck kommende Ideal von Männlichkeit und Glauben.

Nach: W. J. A. von Tettau und J. D. H. Temme: Die Volkssagen Ostpreussens, Litthauens und Westpreussens, Berlin 1837.

 

Der fromme Marienritter

Ein schwäbischer Ritter, Hermann von Lichtenburg, der Sarazene genannt, vererhrte die Jungfrau Maria so hoch, daß er beschloß, in den Deutschen Ritterorden einzutreten. Er machte sich auf den Weg ins Preußenland. Als er auf Marburg zu reiste, traf er unterwegs ein prächtiges Turnier. Ein Ritter ließ soeben durch einen Herold die Männer herausfordern, zu Ehren seiner Dame mit ihm eine Lanze zu brechen. Waffen und Roß sollten der Preis sein. Da niemand sonst den Kampf wagen wollte, trat endlich Hermann in die Schranken. Die Dame, die er meinte und für die er kämpfte, war die heilige Jungfrau selbst. Mit ihrer Hilfe warf er denn auch gleich beim ersten Anlauf den Gegner nieder. Schwert und Rüstung, die er gewonnen, schenkte er den Armen.

Als Bruder Hermann das Ordenskleid genommen hatte und zu Königsberg dem Orden diente, erschien ihm einst die Jungfrau Maria mit traurigem Antlitz und sprach: „Es kümmert mich, daß meine geliebten Söhne, deine Brüder vom deutschen Hause, bei ihren Mahlzeiten jetzt nur noch von den taten der Könige und Fürsten und von der Eitelkeit der Welt sich unterhalten. Früher sprachen sie dabei von meinem Sohne, von mir und von den Werken der Heiligen; jetzt denken sie daran selten oder nie.“ Bruder Hermann konnte den wehen Blick der heiligen Jungfrau nimmer vergessen. Bald darauf gelobte er, der Jungfrau Maria zu Ehren statt eines leinenen, ständig ein eisernes Hemd auf bloßem Körper zu tragen. Als es nun zum Kriege ging, da legte er über sein eisernes Hemd noch die eiserne Rüstung an. Davon wurde dann im Kampfe seine Haut so zerfleischt und zerschunden, als ob er von Skorpionen gebissen worden wäre. Ein Priester schalt ihn darob: „Im Kriege wenigstens mußt du wegen der schweren Rüstung dein Stahlhemd ablegen.“ Aber Bruder Hermann antwortete: „Daß ich lebend mein eisernes Hemd ablege, dazu kann mich keine Not zwingen; und sollte ich noch so viele Wunden davontragen!“ – Was geschah? In der nächsten Nacht erschien ihm die Jungfrau Maria, berührte ihn sanft mit ihrer Hand und heilte ihn. Als ihn der Priester am folgenden Tage wiedersah, konnte er auch nicht die geringste Spur von Verletzungen an ihm entdecken.

Als der Orden zu einem neuen Kriege rüstete, erschien ihm die Jungfrau wieder und sprach zu ihm: „Ich lade dich, Hermann, zum Mahle meines Sohnes!“ Da nahm er für diese Welt Abschied von seinen Freunden. – Er kehrte wirklich aus diesem Feldzuge nicht mehr heim. Sein Leben galt der heiligen Jungfrau.

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Quelle: Johannes Krauledat (Hrsg.): Romowe. Altpreußische Sagen. Den Kindern der Heimat ausgewählt. Langensalza 21928, S. 53.