Die polnische Jüdin Maria Blitz, als Zwangsarbeiterin gerade einem Todesmarsch entronnen, erlebte den Einzug der sowjetischen Roten Armee im „Pruzzenland“ 1945 anders als viele Deutsche.

Einige Tage später waren die Russen wieder da, dieses Mal für immer. Es gab ein Krankenhaus, in dem ich gelegentlich gearbeitet habe, um ein wenig zu helfen. Da, wo ich war, gab es einige ehemalige Zwangsarbeiter. Es gab Franzosen, Italiener, Polen und Russen. Man könnte sagen, dass sie es gut hatten, weil die meisten bei Bauernhöfen auf dem Land gearbeitet hatten und genug zu essen hatten. Sie waren frei und konnten überall ohne Wachen hingehen.

Ich lernte auch einige Soldaten der französischen Armee kennen, die die Russen befreit hatten. Unter ihnen gab es auch Juden, die mir sagten, dass ihre Kameraden sie niemals an die Deutschen verraten hätten. Fast jeden Tag wurden die Zwangsarbeiter von den Russen verhört, die wissen wollten, ob jemand mit den Deutschen kollaboriert hatte. Diese Männer hatten große Angst, ich aber blieb ruhig, weil ich wusste, dass sie mich als Jüdin bestimmt nicht für eine Kollaborateurin halten würden. Die Russen haben uns (nur die Zwangsarbeiter) in verschiedene Städte gebracht und fast jeden Tag verhört, aber ich hatte nie irgendwelche Probleme. Einmal sagte mir ein russischer Offizier, dass ich in ein deutsches Haus gehen sollte und alles, was ich haben wollte, mitnehmen sollte. Ich ging in ein leeres Haus und nahm ein paar Kleidungsstücke und etwas Geld mit.

Die letzte Station war Königsberg. Es war eine sehr große Stadt, ziemlich zerstört von Bomben, eher wie eine Geisterstadt. Wir haben uns in leeren Häusern einquartiert. Die Russen verhörten uns immer noch gelegentlich, aber nicht mehr so oft wie früher. Bis dahin hatte ich schon etwas Russisch gelernt, und ich konnte auch schreiben. Ich bin sprachbegabt, und so lernte ich schnell. Sie gaben mir Arbeit als Buchhalterin und Verkäuferin in einer Bäckerei. Nach der Arbeit trafen sich einige von uns zum Tanzen. Im Haus, in dem ich wohnte, waren noch zwei Polinnen und ein jüdisches Mädchen, das ebenfalls vom Todesmarsch geflohen war. Sie war Ungarin und hatte sich als Zimmermädchen in einem deutschen Haus versteckt. Wir waren betrunken von der Freiheit, und endlich hatten wir genug zu essen. Immer wieder kamen Deutsche in die Bäckerei, die um Brot bettelten. Ich konnte sie nicht abweisen und dachte nur: „Wie sich die Zeiten ändern!“

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Quelle: Maria Blitz: Endzeit in Ostpreussen. Ein beschwiegenes Kapitel des Holocaust, hrsg. von Uwe Neumärker, Berlin 2010.