Germanisches Land?

Was für Statistiken gilt, gilt auch für Karten: Ihnen sollte nicht ohne weiteres geglaubt werden. An einem recht drastischen Beispiel aus einem deutschen Schulbuch der 1930er Jahre lässt sich erkennen mit welchen Konstruktionsmechanismen Kartenautoren mitunter arbeiten:

 

  1. Ausgesucht wird ein Zeitpunkt für den eine größtmögliche Verbreitung der bevorzugten, „eigenen“ Ethnie angenommen wird. Ideal ist dies insbesondere, wenn so wenige Quellen vorliegen, dass eine Überprüfung kaum möglich ist (z. B. 1. Jahrhundert v. Chr.).
  2. Die Karte illustriert ein Kapitel, das einen größeren Zeitraum umfasst (mehrere Jahrhunderte). Ein Zeitpunkt wird so in der Wahrnehmung des Kartenbetrachters zu einem Zeitraum gestreckt.
  3. Für die Ethnie wird ein Name gewählt, der eine starke Kontinuität zu späteren Zeiten suggeriert („Ost-Germanen“).
  4. Mit kräftiger Farbe wird zur Besitzanzeige auf der Karte ein Raum gekennzeichnet, der zur betreffenden Zeit höchstwahrscheinlich lediglich von unberührten Wäldern geprägt gewesen war.
  5. Weitere Bevölkerungsgruppen, die nicht zur bevorzugten Ethnie gehören oder in das gewünschte Schema passen, finden sich in schwächerer Farbigkeit oder Schraffur am Rande der Karte wieder.

 

Als Ergebnis kommt es dann zur Feststellung, dass das „Pruzzenland“ einst zu großen Teilen ein germanisches Land war.

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Bildquelle: Schiefer, Wilhelm (Hrsg.): Maier-Schirmeyer: Lehrbuch der Geschichte für höhere Schulen, Mittelstufe, Bd. 2: Von der germanischen Frühzeit bis zum Westfälischen Frieden, bearb. von Eugen Kaier, Paul Vogel und Reiner von Kempen. Frankfurt/Main 121937, S. 25.