In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war häufiger vom ostpreußischen Liberalismus die Rede. Damit umfasst waren die Ideen der Aufklärung, ein ständisch geprägtes regionales Eigenbewusstsein und gesellschaftliche Reformen, die sich gegen die Verabsolutierung von Staat und Monarchie richteten. Auf den Höhepunkt, die Revolution von 1848, folgte Ernüchterung. Der liberale Historiker und Italienreisende Ferdinand Gregorovius richtete seine Hoffnungen nun auf einen anderen, etwas überraschenden Schauplatz.

An Albrecht Pancritius, 26. September 1859

                                                                                              Rom, Via delle Purificazione 63

                                                                                              26. September 1859

 

Mein lieber Freund,

 

mehrmals dachte ich daran, Dir ein paar Zeilen zu schreiben, und unsere Verbindung dadurch wieder zu erneuern. Ich will Dir frei bekennen, daß der Ton Deines letzten Briefes mich daran verhindert hat. Du schriebst darin so blasirt und gefühllos, daß es mich um Deinetwillen kränkte. Nun ich höre, wie schön sich Deine äußeren und innerlichen Verhältnisse gestaltet haben, bin ich der Meinung, daß Du jene nüchternen Stimmungen Königsbergs wol für immer hinter Dich wirst geworfen haben. Ich begrüße Dich mit freundschaftlichem Herzen in Deiner neuen Thätigkeit, und ich darf Dich versichern daß die Nachricht von Deinem Glück mich auf das freudigste bewegt hat. […]

Die Stadt Thorn hat für mich den Reiz von frühen Jugendeindrücken. Dorthin ging meine erste Reise nach meiner Mutter Tode im Jahre 1831. Seither sah ich sie noch zweimal. Ihr architektonischer Charakter, ihre Lage an dem großen Strom, ihre Grenznachbarlichkeit zu einem fremden Reich machen sie bedeutend. Es ist wol ein Ort, wo die Muse freier und lebendiger atmen kann als in dem entsetzlichen Königsberg, an dessen Dürre ich mit Pein zurückdenke, schmerzlich bedauernd, daß ich mich nicht früher von dort habe entfernen können. Seit dem Abgange meines Bruders von Königsberg haben meine dortigen Beziehungen fast aufgehört. […]

Du wirst in Thorn wahrscheinlich Borquardt finden; ich bitte ihn herzlich zu grüßen. Ist noch bei dem dortigen Gymnasium der treffliche Professor Janzow, weiland mein Lehrer im Griechischen auf der Schule von Gumbinnen, so bitte ich ihm zu sagen, daß ich nicht aufgehört habe an ihn mit dankbarer Verehrung zu denken. […]

 

            Ich schließe mit herzlichen Grüßen.

            F Gregorovius

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Quelle: Ferdinand Gregorovius: Briefe nach Königsberg, hrsg. von Dominik Fugger, München 2013, S. 78 – 79.